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Fiktive Erinnerungen – Angriff auf unsere mentale Festplatte

Als ich neulich mal wieder ein Album mit Urlaubsfotos durchblätterte, zuckte ich kurz zusammen: Zum einen, weil mir auffiel, was ich schon alles wieder vergessen hatte, zum anderen, weil ich erst kürzlich einen Artikel zum Thema Neuronation und „fiktive Erinnerungen“ gelesen habe. Ist Ihnen bewusst, wie einfach sich unsere Gedanken manipulieren lassen? Unter Anwendung recht simpler Tricks schleichen sich frei erfundene Ereignisse in unser Gedächtnis – und zu allem Überfluss tendiert der Mensch auch noch dazu, diese eingepflanzten Märchen bunt auszuschmücken.

Tatsächlich Erlebtes trifft auf frei Erfundenes

Die Rechtspsychologin Julia Shaw untersuchte in Studien den gar nicht so seltenen Fall, in dem wir glauben, etwas erlebt zu haben, was in Wahrheit nie stattgefunden hat. In der Justiz können solche Erinnerungsfehler gravierende Folgen haben, aber ich finde, dass die Manipulation unserer Gedankenwelt generell eine ziemlich beängstigende Vorstellung ist.

Eine Studie von Julia Shaw aus dem Jahr 2015 hat mich beeindruckt:

Sie gab vor, eine Untersuchung über emotionale Ereignisse in der Kindheit durchzuführen. Potenzielle Probanden (Studenten) gaben Shaw die Kontaktdaten ihrer Eltern. Diese erhielten – mit der Bitte um Geheimhaltung – einen Fragebogen, in dem sie nach starken emotionalen Ereignissen im Leben ihrer Söhne und Töchter zwischen dem 11. und 14. Lebensjahr gefragt wurden.

Um letztlich für die Studie infrage zu kommen, mussten die Probanden innerhalb dieser vier Jahre mindestens ein tiefes emotionales Ereignis erlebt haben. So war zum Beispiel der geliebte Familienhund gestorben oder ein Arm gebrochen. Eine zweite Voraussetzung war: Sie durften niemals mit der Polizei in Kontakt geraten sein. Nur wenn beide Bedingungen erfüllt waren, wurden die Probanden zu drei wissenschaftlichen Gesprächen über ihre Kindheit eingeladen.

Und jetzt wird es interessant: Den Befragten wurde nämlich ein Ereignis untergeschoben, welches nie stattgefunden hatte. Folgende sechs Begebenheiten hatte Shaw völlig frei konstruiert – je eine wurde pro Probanden serviert.

  • sie hatten sich stark verletzt,
  • sie waren von einem Hund attackiert worden,
  • sie hatten eine große Summe Geld verloren,
  • sie hatten etwas gestohlen,
  • sie hatten jemanden geschlagen,
  • oder jemanden mit einer Waffe attackiert.

Bei den drei kriminellen Vorfällen wurde den Probanden außerdem gesagt, ihre Eltern hätten von dem Delikt nur erfahren, weil die Polizei sie damals kontaktiert habe.

Ist die Erinnerung erst eingepflanzt, ranken sich die Details wie von selbst drumherum

Das erstaunliche Ergebnis: 70 Prozent der Befragten waren nach drei Sitzungen davon überzeugt, sie hätten eine der drei Straftaten begangen. Sogar 76 Prozent glaubten, sie hätten eines der drei anderen, rein emotionalen Ereignisse erlebt.

Auf Spiegel Online erklärt Shaw, wie diese erstaunlichen Ergebnisse zustande kommen konnten. Sie spricht von „kreativer Suggestion“: „Ich hatte das Vertrauen der Probanden gewonnen, indem ich sie rund 20 Minuten über ein echtes Erlebnis aus ihrer Kindheit hatte erzählen lassen. Dann hatte ich sie mit dem erfundenen Zielereignis konfrontiert und sie vorsichtig gefragt, wie sich dieses angefühlt habe. In den drei Gesprächen gruben die Probanden immer mehr der angeblich verschütteten Erinnerungen aus. Es entstanden in kürzester Zeit, durch diese Art von manipulativem Gedächtnistraining, falsche Erinnerungen voller bunter Details, die sich für die Teilnehmer echt anfühlten.“

Verrückt. Die Grenzen zwischen der Erinnerung an reale und frei erfundene Ereignisse zerfließen. Ich sprach einleitend von ein paar einfachen Tricks, die den Weg in unser Gedächtnis immens erleichtern. So bezieht man sich zum Beispiel am besten auf Quellen, die tatsächlich etwas wissen könnten – etwa Eltern oder andere Verwandte. Und/oder man manipuliert Beweise wie Fotos – und schon leidet das Gedächtnis zumindest unter Irritationen. Glauben wir erst einmal, wir hätten etwas wirklich erlebt, lässt sich diese Erinnerung nicht mehr von jenen an reale Ereignisse unterscheiden. Im Gegenteil – mit uns geht sogar die Fantasie durch.

Gut gefallen hat mir in diesem Zusammenhang der Vergleich der bekannten amerikanischen Psychologin Elizabeth Loftus. Sie gilt als Pionierin auf dem Feld der Erforschung falscher Erinnerungen und sie sagte einmal: „Das Gedächtnis funktioniert ein bisschen wie Wikipedia. Sie können es aufrufen und es verändern – aber andere können das auch.“

Bilder und Erzählungen beflügeln unsere Fantasie: Erinnerungen tauchen auf, wo eigentlich keine sein können

Äußerst spannend sind in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse eines Forscherteams um die Psychologin Shazia Akthar. In einem Projekt der City Universtiy London wurden über 6.500 Menschen nach ihrer frühesten Erinnerung befragt. Viele erzählten aus der Schulzeit, manche von der Geburt eines Geschwisterchens, andere berichteten davon, wie sie laufen lernten oder in welchem Kinderwagen sie durch die Straßen geschoben wurden.

Fast 40 Prozent der Teilnehmer nannte als erste Erinnerung eine Begebenheit aus den ersten beiden Lebensjahren, davon fast 900 aus dem ersten Jahr. Sie alle waren sicher, die jeweilige Erinnerung tatsächlich erlebt zu haben. Das Widersprüchliche: Experten gehen davon aus, dass sich Erinnerungen erst ab einem Alter von etwa dreieinhalb Jahren abrufen lassen. Zuvor ist das Gehirn – insbesondere der für das Langzeitgedächtnis wichtige Hippocampus – noch nicht dafür ausgebildet, Erinnerungen dauerhaft abzuspeichern. „Infantile Amnesie“ nennen Psychologen dieses Phänomen.

Wie kommt es aber zu diesen vermeintlichen Erinnerungen, die es gar nicht geben kann? Die britischen Forscher haben eine mögliche Erklärung: Fragmente realer, späterer Erinnerungen könnten sich mit Fotos oder Geschichten, die in der Familie zirkulierten, verknüpft haben. „Diese Erinnerung kann daraus resultiert haben, dass jemand etwas sagt wie: ,Mutter hatte einen großen grünen Kinderwagen’“, erklärt Co-Autor Martin Conway, „die Person stellt sich dann vor, wie der ausgesehen hätte. Mit der Zeit werden diese Fragmente zu einer Erinnerung, und oft beginnt die Person dann, Details hinzuzufügen – etwa eine daran aufgehängte Kette von Spielzeugen.“

Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Mensch zwischen dem Erlebtem, dem Erzählten und dem auf Fotos oder gar Videos Gesehenem nicht mehr differenzieren kann und will. Hinzu mag der Aspekt kommen, dass es besonders clever wirkt, wenn man sich an früheste Begebenheiten erinnern kann. Tatsächlich ist allerdings genau das Gegenteil der Fall…

Vertraue deinem guten Gedächtnis

Wie dem auch sei: Lass dir nichts einreden. Vertraue deinem Gedächtnis und lass dich möglichst auch nicht von Suggestivfragen beeinflussen. Du weißt ja – Suggestivfragen enthalten bereits die erwünschte Antwort und aus Bequemlichkeit springen wir nicht selten darauf an. Zum Schluss ein kleiner Scherz in diesem Sinne: Du bist doch wie alle anderen ebenfalls der Meinung, dass dieser Beitrag wieder äußerst interessant war, oder?

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