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Vom Geistesblitz getroffen

„Herr Einstein – wie haben Sie das gemacht?“, löcherte Max Wertheimer den Schöpfer der Relativitätstheorie 1916. Der Gestaltpsychologe wollte herausfinden, wie ein Mensch denkt, dessen Geniestreiche die klassische Mechanik aus den Angeln hoben: Verfügte Einstein über ein größeres Wissen als andere, dachte er logischer – oder war alles nur Zufall? Der Physiker berichtete dem Psychologen, dass er sich beim Nachdenken über Raum, Zeit und Geschwindigkeit oft vorgestellt hatte, auf einem Lichtstrahl zu reiten. Oder neben ihm herzulaufen. Skurril – doch womöglich genau das Geheimnis von Einsteins Erfolg.

Lass mich dir ein kleines Aha-Erlebnis schenken. Versuche mal folgende Aufgabe zu lösen. Die Lösung ist einfach wie genial!

Aufgabe 1:

Vom Geistesblitz getroffen

Du siehst nebenan ein Quadrat und ein darüber liegendes Parallelogramm. Gegeben sind die beiden Seitenlängen a und b. Die Aufgabe: Ermittele die Summe der beiden Flächeninhalte.

Versuchen zunächst einmal, das Problem selbst zu lösen, das ist deine Chance, eine plötzliche Einsicht zu erleben. Aufgabe gelöst? Wie bist du vorgegangen? Vermutlich hast du zunächst die dir bekannten Flächenformeln angewendet. So konntest du wahrscheinlich den Flächeninhalt des Quadrats sehr schnell ermitteln (a mal a). Als kniffliger erweist sich die Fläche des Parallelogramms. Was du hier auch versuchst – es fehlt immer eine Größe. Nichts funktioniert, die Lösung scheint unmöglich

Die zündende Idee!

In dieser Phase steckest du in einer Sackgasse: Du trittst auf der Stelle. Was fehlt, ist die zündende Idee. Die da lautet: Es geht gar nicht darum, die Fläche des Quadrats und des Parallelogramms einzeln zu berechnen! Vielmehr muss man das Problem buchstäblich anders sehen – nämlich als zwei rechtwinklige Dreiecke, die, nur ein wenig verschoben, ein Rechteck ergeben (siehe unten). Die Auflösung lautet also: a mal b.

Die erforderliche Umstrukturierung, die neue Sicht der Dinge, lässt sich nicht durch logisches Denken erzwingen. Vielmehr geschieht sie weit gehend unbewusst. Die Wahrnehmung der Problemelemente kippt von einem Moment auf den anderen: Ein Quadrat und ein Parallelogramm verwandeln sich in zwei rechtwinklige Dreiecke, die zusammen ein Rechteck ergeben. Augenfällig ist das besondere subjektive Erleben, das einen einsichtsvollen Moment begleitet. Wenn die Umstrukturierung erfolgt, ist der Problemlöser vom eigenen Denken überrascht. Dies ist oft mit einem intensiven Aha-Gefühl verbunden.

Eingefahrene Wege führen in die Sackgasse

Gestaltpsychologe Karl Duncker hat bereits in den 1920er Jahren erforscht, dass der gewohnte Gebrauch eines Objekts eine alternative Nutzung zumindest einschränkt. Es entsteht das Phänomen der »funktionalen Gebundenheit«. Dies gilt auch dann, wenn komplexe Lösungen bekannt und dennoch sichtbar einfacheren vorgezogen werden. Hier macht die Einstellung auf eine bestimmte Methode blind für ein effizienteres Vorgehen. Die Lösung neuer Aufgaben wird durch das für oft wie in Stein gemeißelte Vorwissen bestimmt, was bei Einsichtsproblemen blockiert und daran hindert, diese anders und losgelöst zu betrachten. Dabei ist der zunächst dauerhafte Misserfolg laut Ohlsson die treibende Kraft, die Anlass gibt, umzustrukturieren.

Vom Geistesblitz getroffen

Wie geht das Licht auf?

In einer Reihe sehr einfallsreicher Studien zeigte der Gestaltpsychologe Karl Duncker schon in den 1920er Jahren, dass der gewohnte Gebrauch eines Objekts dessen mögliche alternative Verwendung einschränkt. Duncker forderte seine Probanden auf, dünne Kerzen aufrecht an der Wand seines Labors anzubringen. Dazu standen verschiedene Gegenstände zur Verfügung, unter anderem Streichholzschachteln und Reißnägel. Die Versuchspersonen mussten nun auf die Idee kommen, Schachteln mit Reißnägeln an der Wand zu befestigen, sodass sie als Sockel für die Kerzen dienten.

Die notwendige Umstrukturierung besteht in diesem Fall darin, die Schachtel nicht in ihrer gewohnten Funktion als Behälter einzusetzen. Interessanterweise wurde diese Aufgabe dann häufiger gelöst, wenn Schachteln und Reißnägel nebeneinander auf einem Tisch lagen – die Schachteln also leer waren –, als wenn sich die Reißnägel darin befanden. Letzteres unterstreicht die gewohnte Funktion als Behälter, was es wiederum erschwert, sie in einer anderen Weise einzusetzen. Dieses Phänomen der »funktionalen Gebundenheit« war der erste Beleg dafür, dass bestehendes Vorwissen die Flexibilität des Denkens nachweisbar einschränken kann.

Abraham Luchins, ein Schüler von Wertheimer, zeigte dann, wie ein wiederholtes Ausführen derselben Lösungsschritte dazu führt, dass andere, womöglich einfachere Strategien ausgeblendet werden. Wenn seine Versuchspersonen mehrere ähnliche Aufgaben gelöst hatten, blieben sie an diesem Prozedere kleben und wendeten es immer wieder an – selbst wenn sich eine einfachere Lösung anbot. Luchins nannte dies „Einstellungsproblem“: Die Einstellung auf eine bestimmte Methode macht uns blind für effizienteres Vorgehen.

Kurz gesagt: Das Vorwissen verhindert Einsichten. Eng damit verwandt ist die Frage, inwiefern Vorwissen einen Problemlöser davon abhält, das Ziel einer Problemlösung zu definieren – also zu entscheiden, wo diese überhaupt liegen könnte. Das ist mindestens genauso wichtig, wie die Aufmerksamkeit auf die kritischen Aspekte des Problems zu richten. Dazu möchte ich dir folgendes Streichholzproblem zeigen:

Vom Geistesblitz getroffen

Die Streichhölzchen Aufgabe

Aufgabe 2:

Die Aufgabe besteht darin, genau ein Hölzchen zu verschieben – aber nicht wegzunehmen –, sodass sich eine arithmetisch korrekte Gleichung ergibt. Die Lösung darf nur römische Zahlen und die Operatoren Plus, Minus sowie das Gleichheitszeichen enthalten. Versuche einmal, die Aufgaben zu lösen. Achte darauf, welche der beiden Nüsse du leichter knacken kannst. Den Probanden fiel Problem 1 leicht; fast alle waren innerhalb von zwei Minuten erfolgreich. Problem 2 erwies sich dagegen als deutlich schwieriger: Nur ein Drittel der Versuchspersonen löste es innerhalb von zwei Minuten. Nach fünf Minuten quälte sich ein Viertel der Probanden immer noch damit herum. Wie ist dieser Unterschied zu erklären?

Aus Gleich mach Minus

Dabei kommt unbewusst vermutlich unser Vorwissen zum Tragen: Wir alle haben in der Schule gelernt, dass man zur Lösung arithmetischer Aufgaben vor allem Werte manipuliert. Entsprechend bewegen die meisten Menschen zunächst nur die Hölzchen, mit denen sie die Werte verändern können. In Problem 1 funktioniert dies wunderbar. Man versteht schnell, dass man aus der römischen IV eine VI machen kann, und schon ist die Sache geritzt: VI = III + III. Bei Problem 2 scheitert diese Strategie: Die eingeschränkte Zielvorstellung, dass die Operatoren Plus, Minus und das Gleichheitszeichen nicht veränderlich sind, führt geradewegs in eine Sackgasse.

Erst wenn wir die Zielrepräsentation erweitern, eröffnen sich neue Lösungsmöglichkeiten. Ein Hölzchen vom linken Gleichheitszeichen entfernt und zum rechten Minuszeichen gelegt, ergibt den korrekten Ausdruck IV – III = I. Ähnlich wie die Wahrnehmung beim Quadrat-und-Parallelogramm-Problem lässt sich die Zielvorstellung nicht bewusst erweitern – der Problemlöser weiß ja nicht, welche Möglichkeiten er gerade übersieht. Er erkennt sie erst in dem Moment, in dem er auch die Lösung erkennt.

Wie lassen sich Geistesblitze erzeugen?

Wie lassen sich solche Geistesblitze nun systematisch erzeugen? Nicht so einfach, aber es gibt eine gute Herangehensweise: Wenn du lange grübelst und deutlich spürst, in eine Sackgasse geraten zu sein, dann bist du womöglich ganz nahe an der Lösung des Problems. Die Forschung zeigt, dass gerade das Gefühl, überhaupt nicht mehr weiterzukommen, häufig einem Aha-Erlebnis vorausgeht:

Gönne dir eine Pause

Wenn du aber gar nicht mehr weiter kommst oder dauernd stur dieselbe Lösung probierst – gönne dir eine Pause! Am besten machst du ein Schläfchen. Tatsächlich zeigt sich immer wieder, dass wichtige Einsichten beim Träumen oder nach einem guten Nickerchen zu Stande kommen.

Schlaf wirkt förderlich auf Einsichtsprozesse, wie auch eine Studie von Ullrich Wagner und seinen Kollegen an den Universitäten Lübeck und Köln zeigte. Sie gaben Probanden einfache Zeichenfolgen vor, auf die sie nach Anwendung zweier logischer Regeln mit einer Folge von Tastendrücken reagieren mussten. Die Zeichenfolgen waren so gewählt, dass sich die Aufgaben aber genauso gut mit einer deutlich einfacheren Strategie lösen ließen. Die Versuchspersonen bearbeiteten eine Vielzahl dieser Aufgaben; dabei wurde gemessen, wie viele von ihnen die günstigere Strategie entdeckten. Wurden die Personen unterbrochen, bevor sie die Regel entdeckten, und für einige Stunden schlafen geschickt – dann kamen sie hinterher viel häufiger auf den richtigen Trichter als andere, denen die Versuchsleiter keine Schlafpause gegönnt hatten.

Die Autoren erklären diesen verblüffenden Unterschied mit Konsolidierungsprozessen, die im Hippocampus während eines Nickerchens ablaufen: Dadurch werden neu eingegangene Informationen mit schon länger im Gedächtnis gespeichertem Wissen verknüpft. Dies kann offensichtlich auch bewirken, dass wir einfachere Lösungsstrategien für Probleme eher entdecken.

Wenn ein kleines Schläfchen gerade nicht möglich ist, hilft es oft, die Gedanken ein wenig schweifen zu lassen. Oder du unternimmst etwas, das dir gute Laune bereitet – ein Eis essen gehen oder vielleicht eine Runde Tischtennis spielen. Viele Untersuchungen zeigen, wie positive Stimmung uns dabei hilft, ein Problem unbewusst aus anderer Warte zu betrachten – und dadurch zu lösen. Und wenn das alles nichts bringt, dann wähle die klassische Variante: Erweitere dein Wissen! Vielleicht hast du zur Lösung deines Problems einfach noch nicht genügend Informationen gesammelt. Um diese Strategie kamen Forscher wie Albert Einstein auch nicht herum.

Lösung Aufgabe 1:

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